Wie aus Interessenten Käufer werden – oder auch nicht

Mit dem Beziehungskonto lassen sich Kundenbeziehungen erfolgreich gestalten. Viele Unternehmen arbeiten daran, ihre Interessenten in Käufer umzuwandeln – und fragen sich, warum manche nie wieder kommen. Eine Antwort darauf liefert das Beziehungskonto, das jeder Kunde zu einem Unternehmen führt und es darin bewertet. Und das meist nicht auf der Sach-, sondern der emotionalen Ebene.

Beispiel für ein Kundenbeziehungskonto (in Anlehnung an Stephen R. Covey)
Beispiel für ein Kundenbeziehungskonto (in Anlehnung an Stephen R. Covey)

 

Runde Geburtstage sind ein Grund zu feiern! Das war mein Gedanke, als ich eine tolle Location für meine Party suchte. Ich habe mir mehrere angesehen, aber eine blieb mir nachhaltig im Gedächtnis. Bei meinem ersten Anruf wurde ich am Telefon mit „Ja, was gibts?“ und einem leicht genervten Unterton begrüßt. Minus ein Punkt. Das restliche Gespräch verlief ebenfalls kurz und endete mit: „Kommen Sie einfach und schauen es sich an“. Keine Unterlagen, keine Bilder, nichts. Minus ein weiterer Punkt. Als ich ein paar Tage später zur Location fuhr, wurde ich von einer sitzenden Mitarbeiterin am Eingang begrüßt. Den Weg zu den Räumen wies sie mir lediglich mit der Hand, sie selbst blieb sitzen. Sie ahnen es: Minus ein Punkt. Das anschließende Gespräch verlief ähnlich emotionslos. Sie natürlich sitzend, ich stehend. Schade, wieder minus ein Punkt. Auf meine Frage, ob sie eine Empfehlung zu Caterern hätte, zuckte sie ahnungslos ihre Schultern. Bis ihr von hinten ein älterer Kollege zurief, dass es eine Liste auf dem Computer gäbe. Nach gefühlt endlosen Minuten an Suche hatte ich eine Liste in der Hand. Minus ein weiterer Punkt, Endstand minus fünf Punkte. Ich verabschiedete mich und wusste, hier würde ich trotz der tollen Räume nicht buchen.

Menschen kaufen Gefühle, keine Produkte
Häufig wird davon ausgegangen, dass Menschen mit sachlichen Argumenten, Vorteilen und Nutzenversprechen überzeugt werden können. Doch haben Sie schon einmal versucht, mit dieser Taktik einen Raucher vom Aufhören zu überzeugen? Oder einen Nicht-Sportler zur Sportskanone entwickelt? Oder einen Fußballfan davon, dass die gegnerische Mannschaft nach allen Statistiken die bessere ist? Fakt ist, dass Menschen ihre Entscheidungen zu einem großen Teil emotional treffen, je nach Quelle sogar mehr als 80 Prozent! Emotionen bestimmen unser Verhalten, wir rechtfertigen es hinterher mit sachlichen Gründen.
Die Erkenntnis des US-Psychologen und Nobelpreisträgers David Kahneman erklärt, weshalb Kunden kilometerweit zu einer Autowerkstatt fahren, statt die um die Ecke zu nutzen. Ich fahre beispielsweise 80 Kilometer zu meinem Optiker. Wieso? Weil ich mich bei ihm fachlich UND menschlich gut aufgehoben fühle. Man kennt sich, und ich bin dort nicht einfach „ein“ Kunde, sondern ein Geschäftsfreund. Deshalb nehme ich die weite Fahrt auf mich, um ein gutes Gefühl beim Kauf meiner Brille zu haben.
Ähnlich wie viele andere, die einen bestimmten Handwerker beauftragen, weil sie ihn und seine Arbeit zu schätzen wissen, obwohl er im Vergleich etwas teurer ist.

Das Beziehungskonto entscheidet über Kauf oder Ablehnung
Mein Erlebnis mit der Suche nach einer Partylocation zeigt, wie Entscheidungen bei Interessenten zustande kommen können. In einer Geschäftsbeziehung gibt es viele Kontaktpunkte, an denen positive und negative Erfahrungen entstehen, am Ende ergibt sich ein Saldo. Der Bestsellerautor Stephen R. Covey hat das mit einem Bankkonto verglichen und es ein emotionales „Beziehungskonto“ genannt. Dieses führt jeder Mensch gegenüber einem anderen Menschen. Am einfachsten lässt es sich beim Freundeskreis erklären:
Die gemeinsamen Interessen, Erlebnisse und Momente sorgen für eine kontinuierliche Aufladung des Kontos und einem positiven Guthaben. Falls aber einer der Freunde einmal einen schlechten Tag hat, führt das zwar zu einer Abbuchung, aber durch die vielen positiven Emotionen kann man das leicht verzeihen. Ein anderer Fall ist, wenn sich Menschen immer nur dann melden, wenn sie etwas brauchen. Dies bedeutet laufend Abbuchungen, ohne dass es vorher Gutschriften gab. Irgendwann ist eine Grenze der Bereitschaft erreicht – nämlich dann, wenn sämtlicher Freundschafts- und Vertrauensbonus aufgebraucht ist.

Das Interessante ist: Die Idee des Beziehungskontos lässt sich auch auf Unternehmen übertragen. Wenn es in einer Geschäftsbeziehung – wie in meinem Beispiel – überwiegend negative Erfahrungen, aber kaum positiven Zubuchungen gibt, entstehen Risse. Je nach Häufigkeit und Intensität führen diese zu einem Bruch in der Beziehung – beziehungsweise einem Nein des Kunden zum Angebot des Verkäufers. Für Abbuchungen sorgen Verhaltensweisen wie Unfreundlichkeit, Missachtung, Unkenntnis, Inkompetenzen, Falschauskünfte, mangelndes Engagement („nicht zuständig“) oder schwerwiegende Fehler in den Prozessen. Doch die gute Nachricht ist: Jeder im Vertrieb kann das Beziehungskonto positiv und mit einfachen Maßnahmen aufladen!

Der Quickwin für das Beziehungskonto
Der erste und wichtigste Schritt für die Nutzung des Beziehungskonto ist es, sich bei jedem Kundenkontakt bewusst zu sein, dass ein solches Konto im Kopf und Herz des Kunden existiert! Anschließend wird eine Antwort auf die Frage „Was kann ich meinem Kunden heute Gutes tun, um das Konto aufzuladen?“ gesucht. Grundsätzlich positiv wirken sich Maßnahmen wie Freundlichkeit, Ehrlichkeit, Engagement und persönlicher Einsatz aus. Aber auch die Weitergabe von hilfreichen Tipps oder kleine Geschenke (zum
Beispiel ein Gutschein für den nächsten Einkauf oder Kulanzleistungen) helfen dabei. Mit diesem Verhalten entsteht Schritt für Schritt ein positives, vertrauensvolles Verhältnis zum Unternehmen. Auf dieser Basis sind Kunden nicht nur eher bereit für den Kauf, sondern diesen beim gleichen Anbieter zu tätigen. Ein positives Guthaben sorgt dafür, dass kleine Fehler verziehen werden und eine langfristige Kundenbeziehung entsteht.

Strategische Berücksichtigung des Beziehungskontos
Die Herausforderung jedoch ist, nicht nur einmal „gut“ zu sein und das Konto aufzuladen, sondern laufend. Das ist dann der Fall, wenn diese Maßnahmen nicht aus Zufall, sondern geplant entstehen! Klassische Unternehmen analysieren ihren Vertriebsprozess dahingehend und passen ihn an. Kundenzentrierte Unternehmen betrachten die Customer Journey und die Wirkung der einzelnen Touchpoints, also der Kontaktpunkte zwischen der Firma und dem Kunden. Hier wird darauf geachtet, dass bei einem Kontakt eine positive Zubuchung quasi von alleine auf das Kundenkonto erfolgt. Die größte Wirkung auf den Kunden erzeugen übrigens die Mitarbeiter! Eine Untersuchung von ESCH zeigte, dass diese bei 60% der begeisternden Erlebnisse beteiligt sind. Dementsprechend stellt das Beziehungskonto eine wichtige Erkenntnis für alle im Vertrieb tätigen Menschen dar. Es gilt aber auch für alle anderen Vertriebs- und Kontaktwege, auch den Onlineshop. Denn emotionale Zu- und Abbuchungen können ebenfalls bei der digitalen Kaufanbahnung und -umsetzung, oder bei der Beantwortung von Anfragen über E-Mail, Chat
beziehungsweise soziale Medien erfolgen.

Bei austauschbaren Produkten gewinnt das Gefühl
Wir leben mittlerweile in einer Welt, in der es die meisten Produkte nicht mehr exklusiv bei einem Händler gibt. Unabhängig ob Bohrmaschine, Jeans oder Hotel – die gleichen Produkte sind problemlos über verschiedene Kanäle zu erwerben. Auf diese Situation können Unternehmen mit zwei Methoden reagieren, um Kunden für sich zu gewinnen: Viele versuchen es über den Preis – das geht am einfachsten, führt jedoch in eine Preisspirale nach unten und endet bei Null. Die andere Methode ist es, die Kunden ernsthaft in den Mittelpunkt zu stellen, die Prozesse rückwärts in das Unternehmen zu organisieren und an jedem Kontaktpunkt eine positive emotionale Wirkung zu erzeugen. Dann kaufen nicht nur Kunden, sondern auch Interessenten. Weil Gefühle unvergleichbar und deshalb die Potenziale unendlich sind.

 

In meinem Buch „Die Kundenherzgewinner“ gehe ich ebenfalls auf das Kunden-Beziehungskonto ein und gebe viele weitere Tipps, um die Kundenbeziehung erfolgreich zu gestalten. Interesse? Das Buch können Sie hier bestellen!

Hinweis: Eine Kurzversion des Artikels erschien erstmals am 02.06.2022 auf der Seite von businessvillage.de

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